Von der Leistungssucht

Slow Living klingt echt ansprechend für mich. Ausschlafen hört sich unglaublich gut an. Und jedes Mal, wenn man mir etwas vom Buddhis...



Slow Living klingt echt ansprechend für mich. Ausschlafen hört sich unglaublich gut an. Und jedes Mal, wenn man mir etwas vom Buddhismus, von Achtsamkeit, von Ruhe und Zen erzählt, höre ich ganz genau hin. Alles Bereiche, die mich seit jeher interessieren. Dennoch sind es keine Begriffe, die tatsächlich in meinem Leben integriert sind. Denn ich bin ein Sich-Sorgen-Macher und ein nervöser ehrgeiziger Listenschreiber, wenn ich Zuhause bin. Ich glaube, dass das sehr viel mit Angst zu tun hat. Damit, die Kontrolle behalten zu wollen und bloß nicht zurück zu fallen. Ein Kritiker meiner selbst, der ziemlich streng mit sich ist.

Was es bestimmt auch ist: Eine häufige Randerscheinung von Freiberuflern und Selbstständigen. Seit geraumer Zeit studiere ich nicht nur, sondern bin an digitalen Projekten und Artikeln beteiligt. Ich gehe nach der Uni nicht nachhause und habe Feierabend. Ich gehe nachhause und schreibe Blogartikel und beantworte Mails von Anfragen, vom Wanderbuchprojekt, vom Girls Just Wanna Have Magazin und plane. Denn planen, ordnen, systematisieren beruhigt mich. In meinem Regal, sowie in meinen Kisten, meinem Kopf und meinem Leben. Und das Aufkommen einer neuen Idee oder eines neuen Projektes lässt mich in eine Stimmung kommen, die ich als beflügelnd, motivierend und insgeheim hoffnungsvoll empfinde. "Ich kann was!", ist ein bestätigender sowie verzweifelter Gedanke gleichzeitig, den ich mir unbewusst wie ein Mantra innerlich aufsage, wenn ich etwas schaffe.

Ich bin es gewohnt, dass Leute mit den Augenbrauen in die Höhe schießen, wenn ich erzähle, dass ich Philosophie studiere. Auch der Zusatz von Kultur- und Literaturwissenschaften hilft da nicht viel, sondern ruft ein mildes halbes Lächeln hervor. Zumindest, wenn ich auch nach Nachfragen erkläre, dass ich weder Lehrerin, noch Taxifahrerin werden möchte. Beide Bereiche, der eines kreativen Freelancings und auch der eines Studiums in dem Feld haben zur Folge, dass es keine klare Linien und keine Sicherheit in meiner Zukunft oder Gegenwart ohne Eigenengagement, Ambition und Fleiß gibt. Üben, testen, auf dem neuesten Stand bleiben und liefern.

Ich kann nicht entspannen. Ich kann nicht einfach nichts tun, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Selbst wenn ich eine Woche lang bis abends erfolgreich durchgearbeitet habe, fühle ich mich faul und unnütz, wenn ich zwei Tage am Stück ebendies nicht schaffe. Hin und wieder liege ich dann doch nur herum, weil mein Körper und meine begrenzte Zeit mich dazu zwingen. Nie jedoch, ohne etwas neben mir zu haben, was neben meiner To Do List immer größer und größer wird, je länger ich nichts leiste: Schuldgefühle.


Denn diese Leistungssucht, die ich an den Tag lege, ist eigentlich auch gleich das Rezept, scheitern zu müssen.


Bis ich irgendwann an Punkte komme, an denen reine Freizeit aus Spaß und ohne doppelnutzbaren Zweck nicht mehr existiert. Wenn ich schon lese, dann doch etwas, was mich in der Uni weiterbringt. Wenn ich schon einen Film gucke, dann doch auch gleich eine Rezension schreiben. Wenn ich etwas Zeit brauche und wegen meiner Rückenschmerzen oder trauriger Stimmung ein wenig entspannend muss, dann noch wenigstens ein wenig Brainstormen, eine Ideenliste erstellen oder das Media Kit aktualisieren. Schlimmer noch, komme ich an Punkte, an denen etwas wie Selbstsorge nicht mehr existiert. Alles erledigen wollten, Listen füllen können mit Aufgaben von Sekundärliteratur bis Wohnungsrenovierung oder Fitness bis Arbeit. Und sich selbst darin nicht mehr wieder finden. Wo bin ich in all dem?

Ich definiere mich ein Stück weit über das, was ich schaffe und leiste. Und das muss aufhören. Ich muss für mich auch okay sein, wenn ich mal nicht viel schaffe. Wenn ich nicht rund um die Uhr an mir oder etwas arbeite. Einfach mal Ich sein und genug sein und die Sanduhr in meinem Kopf, die mir erzählt, was ich noch tun muss, vielleicht einmal umwerfen. Eis essen, weil man es verdient hat, weil man einfach man selbst ist und nicht, weil ich geschafft habe, 28Stunden in 24 zu packen. Loslassen. Einfach ein bisschen Loslassen.

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4 x

  1. ...und wieder etwas, das haargenau so in meinem Kopf herumgeistert und von mir ins Tagebuch geschrieben sein könnte.
    Danke dir für deine offenen und ehrlichen Artikel. Ich finde mich irgendwie immer ein (großes) Stück darin wieder.

    Liebe Grüße
    Jenni

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  2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  3. Bin gerade durch Zufall über deinen Blog gestolpert.
    Der Artikel spricht mir so aus der Seele. Danke ♥

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  4. Liebe Janet,

    ich habe soeben deinen wundervollen Blog entdeckt und fühle mich hier gleich zuhause! Danke speziell für diesen Text - das kenne ich nur zu gut. Und dein "Schluss damit!" unterschreibe ich. Es wird auch mal wieder Zeit etwas nur für sich selbst zu tun. Und zu genießen. Losgelöst von weiteren Verwertungsmöglichkeiten.

    Lieber Gruß,
    Sonja

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