Read & Watch Empfehlung: The Circle

Schon vor Jahren bekam ich Wind von dem Buch  Der Circle . Erst aus dem Englischsprachigen Raum, dann im Deutschen und ich wusste v...





Schon vor Jahren bekam ich Wind von dem Buch Der Circle. Erst aus dem Englischsprachigen Raum, dann im Deutschen und ich wusste von gleich mehreren Freunden, die es zu Weihnachten geschenkt bekamen. Was ich jedoch nicht weiß, ist der Grund, warum ich nie in Betracht zog, es zu lesen. Denn genau genommen trifft es viele meiner engsten Interessen: Ethik, Digital Media, Zukunftsvisionen, Politik und Autonomie. Als ich dann den Trailer sah [unten im Blogeintrag verlinkt] und die Antworten der, von Emma Watson gespielten, Protagonistin in ihrem Bewerbungsgespräch hörte, wusste ich, dass das etwas ist, womit ich mich auseinandersetzen musste. Weil es so nah an mir ist. Und vielleicht auf unbequeme Weise sogar nah an unserer Zukunft?


Der Circle von Dave Eggers  ist eine 2013 veröffentlichte Dystopie,
die sehr schnell zum internationalen Bestseller wurde.

Die 24-jährige Mae Holland bekommt einen Job beim weltweit größten Internetunternehmen Circle bekommt, der alle anderen großen Internetunternehmen mittlerweile geschluckt hat und zum Monopol heranwächst. Ein eigener Kosmos mit eigenen Wohnungen, Auftritten gefragter Künstler und Events, etc über das Unternehmen als Arbeitsplatz alleine hinaus. Das Silicon Valley als Lebensraum und -realität. Die Kita für die Kinder der Mitarbeiter, Yoga-Kursen, Imbissen und Cafés aller Art, Tennisplätzen, Biogärten, Kinos, einer Hundebetreuung und einem ganz eigenen Gesundheitssystems. Start-Ups, die regelmäßig pitchen, in der Hoffnung, vom Circle gefördert oder gekauft zu werden.
Der Circle
 profitiert, wenn du auch am Hauptcampus lebst und dort möglichst viel Zeit verbringt. Je glücklicher du bist, desto besser bist du auch als Mitarbeiter, so die Philosophie, die Gemeinschaft, das ist wichtig, denn es geht hier nicht bloß um einen Job. Community first und damit verbunden die sozialen Medien: Miteinander verbunden sein, Erlebnisse, Gedanken und Gefühle miteinander teilen - auch online.
Mae ist außer sich vor Ehrfurcht und schnell auch vor Euphorie. All das ist mehr, als sie sich jemals von ihrem Arbeitsplatz erträumt hatte. Sie ist Teil von etwas Bedeutsamen. Und sie ist gut darin. In der Abteilung für Customer Experience betreut sie Kunden und steigt schnell auf. Auf drei verschiedenen Bildschirmen an ihrem hochmodernen Arbeitsplatz arbeitet sie gleichzeitig und bekommt in Form eines Punktesystems sofortige Rückmeldung über die Zufriedenheit der Kunden, über die erbrachte Leistung, ihre Aktivität, ihre Beteiligung innerhalb des Circles. Alles wird getrackt und in Zahlen wiedergegeben und sichtbar gemacht. Durch diese transparentere Messbarkeit der eigenen Leistung wird der Ehrgeiz gepackt, aufzusteigen. Wie in einem Videospiel, zeigt sich in einem Ranking, wie man qualitativ im Vergleich abschneidet.


"An diesem sonnigen Montag im Juni blieb Mae vor dem Haupteingang stehen, über dem das in Glas geätzte Firmenlogo prangte. Das Unternehmen war noch keine sechs Jahre alt, doch sein Name und Logo - ein Kreis um ein engmaschiges Gitter mit einem kleinen "c" für "Circle" in der Mitte - zählten bereits zu den bekanntesten auf der Welt. Hier auf dem Hauptcampus waren über zehntausend Mitarbeiter beschäftigt, aber der Circle hatte überall auf dem Globus Büros, stellte jede Woche Hunderte begabte junge Köpfe ein und war schon vier Jahre hintereinander zum beliebtesten Unternehmen der Welt gekürt worden."






Ein wenig George Orwell, ein wenig Aldous Huxley, ein wenig Big Brother. Eine Mischung aus Steve Jobs, aus Silicon Valley und Scientology. Jeder kennt die Grausamkeit, die die Anonymität des Internets hervorbringt, von Hetze und Trolling in Kommentarsektionen bis hin zum Darknet und seinen kriminellen Machenschaften von Waffenhandel bis Kinderpornographie. Was, wenn man alles einfach sichtbar macht, alle Anonymität abschafft? Wie verhält man sich, wenn man weiß, jemand schaut einem zu?
Eine Vision einer Welt, in der nichts mehr anonym oder geheim passiert. Wie weit würde man wohl kommen, wenn man das Wissen der Menschheit, das über die ganze Welt und tausende Menschen verteilt ist, zusammenführt? Wenn man eine große Sammlung an Wissen und damit an Wahrheit hätte? Sind Lügen, Tabus und Geheimhaltung nicht der Kern des Bösen? Vergewaltigungen, Menschenrechtsverletzungen, Entführungen. Wenn alles öffentlich ist, dann weiß man, wo all die schlimmen Dinge passieren, wer dafür zur Verantwortung gezogen werden muss. Und wer nichts Verwerfliches tut, der braucht sich auch nicht vor der Öffentlichkeit fürchten. All das will der Circle mitsamt der sozialen Medien schaffen: Die vollkommene Welt. In vollkommener Transparenz wird ohne Ausnahme alles geteilt. Wissen ist Macht und etwas nicht zu wissen verunsichert. Transparenz und Ehrlichkeit schafft Freiheit. Hat nicht jeder Mensch das Recht auf Wahrheit?


"Etwas zu wissen ist gut. Aber alles zu wissen ist besser."



Tiefe bekommt die Geschichte allerdings durch Maes familiäre Situation, abseits ihre hochdigitalen Jobs. Als Einzelkind ihrer Eltern, die durch die MS Erkrankung ihres Vaters belastet und durch die  Versicherungsbürokratie gestresst und gequält sind. Ein Vater, der nicht die Würde vor seiner Tochter verlieren will und eine Tochter, die nicht weiter weiß.
Annie, Maes beste Freundin aus Collegezeiten, durch die sie an den Job gekommen ist und die zu den Großen im Unternehmen zählt, ist eine ironische, intelligente, direkte und selbstbewusste Figur, die Mae zum Abheben verleitet und gleichzeitig auch auf dem Boden hält, während sich ihre Freundschaft immer mehr und mehr verkompliziert. Eine weitere zwischenmenschliche Beziehung: Ich bin kein Fan davon, dass nahezu keine große Geschichte erzählt werden kann, ohne notwendigerweise eine oder mehrere Romanzen einzubauen. Die Liebschaften finde ich persönlich irgendwie unauthentisch, obgleich sich gerade dort der menschliche Wunsch Maes nach individueller Kontrolle und Macht, das Loslassen dessen und das Verlangen nach Privatsphäre zeigt. Was, wenn ein intimer sexueller Moment plötzlich aufgenommen wird und nicht länger mehr nur ein intimer Moment ist. Was, wenn jemand anonym bleibt und dir nicht die Ehrlichkeit gibt, die du eigentlich willst?

Man mag Mae im Verlauf der Geschichte als naiven Menschen beurteilen, der einfach zu sehr auf das Urteil anderer bedacht ist, um sich eine autonome Meinung zu bilden, doch genau das ist der Punkt: Beeinflussung als Motiv. Das langsame Abdriften in eine andere Welt als Symbol. Wie nah sind wir an einem solchen Geschehen? Eggers beschreibt in seine Dystopie in naher Zukunft, also in einer Zeit und Welt, die noch vorstellbar und in Teilen realistisch nah an unseren Leben ist. Genau genommen könnte all das weit weg im innovativen Silicon Valley vielleicht schon Realität sein, ohne dass wir es mitbekommen hätten. Mae ist überzeugt. Sie lässt sich überzeugen, von einer Vision, die sich doch nur befürworten lässt, wenn sie so viel Gutes schafft, so viel möglich macht, was bisher noch keiner geschafft hat. Sie entfernt sich immer mehr von sich selbst und ihrem eigenen Leben, als sie erkennt, dass sie ihre ganz privaten Wünsche vielleicht einfach nur egoistisch sind. Untrennbar wird sie Teil von dem Ganzen, wird Mitläufer, ohne jemals als solcher zu gelten: Mae beschließt, transparent zu werden.




 


Das Buch ist für jeden, der sich auf das Gedankenexperiment eines Weiter. oder gar Zuendedenkens dieser Gesellschaft einlassen kann. Für jeden eindeutigen Befürworter oder Kritiker von digitalem Fortschritt, für Personen des öffentlichen Lebens, für jeden, der sich Stunden mit sozialen Medien, auf Facebook oder Instagram beschäftigen kann. Für jeden Influencer und Vlogger und diejenigen, die die Kombination aus Statistik und Psychologie, au Menschsein und Daten liebt.

Unter der Regie und dem Drehbuch von James Ponsoldt kommt die Bestsellerverfilmung im September nun in die Kinos. Mit Schauspielern wie Tom Hanks als einer der drei Weisen, John Boyega und Emma Watson als Mae Holland. Und ich bin sehr gespannt auf den Film. Insbesondere, weil ich einige negative Rezensionen gelesen habe. Was für mich bei der Beurteilung eines Filmes immer wichtig ist, sind die Fragen: Was will der Film erreichen? Was erwarte ich von einem (oder diesem) Film? Und die Fähigkeit, diese beiden Bereiche voneinander zu trennen. Vielleicht gibt es nicht den großen Knall. Es gibt vielleicht nicht den einen großen bösen Antagonisten. Trotz des Themas ist der Film kein Mainstream Film und auch keiner für klassische Thriller Fans. Es gibt keine vorgefertigte Pointe, die dich befriedigt nach Hause laufen lässt. Es gibt aber das Bild einer Vision. Du bist gefragt. Du bist gefragt, weiterzudenken, zu kritisieren, zu stoppen und eine Grenze zu ziehen, wenn du sie ziehen willst. 






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1 x

  1. Oh, da bin ich auch mal gespannt. Habe das Buch auch gerade erst fertig gelesen.

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